Hochsensibilität beschreibt das Phänomen, dass einige Menschen Reize ihrer Umgebung intensiver wahrnehmen und entsprechend stärkere Sinneseindrücke in bestimmten Bereichen haben. Dies wirkt sich auf die Persönlichkeit und Leistungsfähigkeit der hochsensiblen Menschen aus.
Die US-Amerikanische Psychologin Elaine N. Aron etablierte diesen Begriff 1997. Ähnlich wie mehrere heute anerkannte Krankheitsbilder (beispielsweise Burnout und ADHS) handelt es sich um ein recht neues Phänomen. Bis heute existiert hierbei allerdings keine einheitliche Definition, sondern lediglich eine Form der Beschreibung. Es ist auch nicht abschließend geklärt, ob es sich um eine Krankheit, eine Form von Persönlichkeitsstruktur oder um etwas anderes handelt. Insgesamt kann Hochsensibilität diskutiert werden. Das Fehlen der einheitlichen Definition sowie die unklaren Angaben darüber, wie viele Menschen hiervon betroffen sind, sollen im Folgenden begründen, dass Hochsensibilität hier als Phänomen und nicht etwa als Krankheit bezeichnet wird.
Zur Beschreibung werden häufig die folgenden Punkte von Dr. Aron herangezogen:
Depth of Processing: Eine besondere Verarbeitungstiefe von Informationen ist gegeben.
Easily Overstimulated: Eine Überreizung tritt schnell auf.
Emotional Reactivity and High Empathy: Emotional sind die Menschen empfänglicher und empathischer.
Sensitivity to Subtle Stimuli: Die Wahrnehmung subtiler Reize ist verstärkt.
Die Punkte werden als DOES zusammengefasst.
- Hochsensibilität bedeutet, mehr wahrzunehmen.
- Häufig geht sie mit gesteigerter Kreativität und Empathie einher.
- Sie ist weder ganz erklärt noch völlig definiert.
- Hochsensible Menschen sind nicht krank.
- Hochsensibilität kann herausfordernd sein.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Was Hochsensibilität ausmacht
- 2 Spiritualität und Hochsensibilität
- 3 Hochsensibilität als Hindernis
- 4 Mögliche Ursachen für Hochsensibilität und die Erforschung des Phänomens
- 5 Nachweis von veränderten Hirnaktivitäten
- 6 Einordnung der Hochsensibilität
- 7 Was hochsensiblen Menschen hilft
- 8 Fazit
- 9 Quellen
Was Hochsensibilität ausmacht
Hochsensible Menschen erfahren Reize intensiver. Dies bedeutet, dass die Eindrücke aus der Umwelt insgesamt verstärkt und weniger gefiltert wahrgenommen werden. Zu den möglichen Ursachen hierfür wollen wir später noch kommen.
Zu den verstärkt wahrgenommenen Reizen gehören:
- Gerüche
- Geräusche
- Geschmäcker
- Berührungen
- optische Eindrücke
- emotionale Signale
- Stimmungen
Nicht bei allen Menschen, die sich selbst als hochsensibel beschreiben, sind alle Sinneseindrücke verstärkt. Vielmehr geht es hier sehr selektiv zu: Die einen sind beispielsweise besonders geräuschempfindlich, während wieder andere besonders empathisch sind. Die verstärkten Eindrücke führen zu einer anderen Verarbeitung derselben. So verwenden hochsensible Menschen mehr kognitive Leistung für Details. Scheinbare Kleinigkeiten, Randerscheinungen und Aspekte eines Eindrucks werden tiefergehend verarbeitet und auch bewertet.
Diese Fähigkeit kann vorteilhaft sein. So ist ein verstärktes Wahrnehmen von Gerüchen und Geschmäckern eine gute Voraussetzung dafür, sich als Gourmet zu versuchen. Eine größere Achtsamkeit für die emotionalen Signale der Mitmenschen (Gestik, Mimik, unterschwellige Botschaften, Wortwahl, Intonation etc.) führt zu einem besseren Verständnis des Gegenübers.
Die andere Seite der Medaille ist gleichwohl mit eben dieser höheren Sensibilität zu begründen. Denn wer intensiver riecht und schmeckt, kann gerade durch erstere Eindrücke schnell gestört werden. Die Schwelle der Wahrnehmbarkeit ist bei hochsensiblen Menschen herabgesetzt. Der (chemische) Geruch eines neuen Teppichs, die nicht passende Nuance in der Soße oder auch einfach der Eigengeruch eines Menschen kann für hochsensible Personen ablenkend, bedrückend und letzten Endes störend sein. Es handelt sich insgesamt um ein Phänomen, das häufig mit leichter Ablenkbarkeit zusammen auftritt – eine Eigenschaft, die Hochsensibilität mit ADHS teilt. Zusammenhänge werden erforscht.
Hochsensibilität wird häufig mit Kreativität und Empathie in Verbindung gebracht. Begründet wird dies durch die Fähigkeit, sich mehr auf Eindrücke einzulassen. Dies führt – so abstrakt dies auch klingt – zu einem tieferen Verständnis von Dingen, zuweilen auch einfach nur zu einer weiter gefassten Auffassungsgabe.
Spiritualität und Hochsensibilität
Hochsensibilität wird ebenfalls von esoterischer und psychologischer Seite diskutiert. Die psychologische Seite befasst sich mit den Ursachen und Auswirkungen von Hochsensibilität. Die Wissenschaft zu diesem Thema rezitiert größtenteils die Aussagen der genannten Psychologin Aron. Auf der esoterischen Seite finden sich diverse Aussagen von Menschen und Gruppierungen, die eine erhöhte Wahrnehmung mit einem tieferen Verständnis von der Welt zusammenbringen.
Das Phänomen solle, so wird es von spirituell veranlagten Menschen, die sich als hochsensibel beschreiben, gesagt, dazu führen, mehr mit der Welt in Verbindung zu stehen. Je nach persönlicher Prägung und Erfahrung werden verstärkte Sinneseindrücke mit einem stärkeren Sinn für die Ästhetik der Welt, für menschliche Schwingungen oder auch für paranormale Phänomene zusammengesetzt. Gipfeln tun diese Ansichten in der Theorie, dass beispielsweise die Schwingungen des Universums oder Geistererscheinungen wahrnehmbar sind. Die Grenzen zu unwissenschaftlichen Behauptungen und Interpretationen sind hier fließend. Auch dies führt dazu, dass die Definition des Phänomens Hochsensibilität erst einmal unklar bleiben muss.
Hochsensibilität als Hindernis
Das Phänomen Hochsensibilität geht nicht nur mit der Fähigkeit, enge Bindungen zu schaffen sowie einer erweiterten Wahrnehmungsfähigkeit für die Welt einher. Wenngleich viele hochsensible Menschen sich als besonders empfänglich und kreativ denkend bezeichnen, gibt es auch Beschwerden.
Dies beginnt bereits häufig im Kindesalter: Hochsensible Kinder können durch eine sehr reizintensive Umgebung (Bahnhöfe, Menschengruppen etc.) schnell überfordert werden. Dies führt zu Passivität, Angstreaktionen und der Unfähigkeit, auf ein Ansprechen noch konzentriert zu reagieren. Gerade sich entwickelnde Ängste durch die vielen Reize treffen schnell auf Unverständnis. Aussagen, wie dass man sich nicht so anstellen solle oder man einfach zu empfindlich sei, sind häufig.
Dies zieht sich für Hochsensible häufig durchs ganze Leben. Menschenmassen und eine laute Umgebung werden häufig gemieden, was nicht immer sozial verträglich ist. Zusätzlich sind hochsensible Personen sehr leicht abzulenken. Der Wasserkocher im Büro, eine laute Klimaanlage oder einfach nur das Gespräch drei Tische weiter werden als enorm störend empfunden. Entsprechend kann die Leistungsfähigkeit stark herabgesetzt sein.
Produkte & Dienstleistungen (0)Auch die Fähigkeit, Stimmungen zwischen Menschen schnell zu erfassen und richtig einzuordnen, ist nicht zwingend vorteilhaft. Gerade bei offiziellen Anlässen oder eher harmonieorientierten Zusammenkünften (Familientreffen u. ä.) fällt es Hochsensiblen oft auf, wenn die Stimmung nicht zum Gesagten passt. Insgesamt haben hochsensible Menschen ein gutes Gespür dafür, wann es ehrlich zugeht und echte Sympathie vorhanden ist und wann nicht.
Aufgrund der Tatsache, dass hochsensible Personen häufig länger zum Verarbeiten von Reizen benötigen, kommt es auch zu verspäteten Reaktionen und Entscheidungen. Wo der Hochsensible sich noch beschäftigen möchte, weil ihn etwas ergriffen hat, will der andere vielleicht schon weiter.
Mögliche Ursachen für Hochsensibilität und die Erforschung des Phänomens
Laut Aron sind circa 15 bis 20 Prozent aller Menschen (und Tiere) hochsensibel, was durch einen Test zu bestätigen sei. Der Test an sich gilt als plausibel, allerdings deckt er, anders als Aron dies annahm, insgesamt drei Bereiche ab: Schnelle Überforderung durch innere und äußere Anreize, verstärkte Wahrnehmung von ästhetischen Reizen (Sinnen) und die Eigenheit, durch äußere Reize schneller unangenehm erregt zu werden.
Während die erhöhte Empfänglichkeit für ästhetische Reize sich mit der Beschreibung von Hochsensibilität hervorragend deckt, lassen sich die beiden anderen Punkte auch ohne Frage dem Neurotizismus zuordnen. Dieser beschreibt eine der fünf großen Persönlichkeitstypen, wobei diese Big Five ein gängiges und gut gestütztes psychologisches Modell beschreiben. Entsprechend kann auch davon ausgegangen werden, dass nicht alle Menschen, die laut dieses Tests hochsensibel wären, dies auch sind. Einige könnten auch einfach, vereinfacht ausgedrückt, schneller mit ihrer Umgebung überfordert sein als andere. Der Prozentsatz von bis zu 20 Prozent darf deshalb angezweifelt werden. Dass Menschen, die im Laufe ihres Lebens häufig als zu empfindlich betitelt wurden und werden und deshalb – häufig online – bei Recherchen auf den Begriff der Hochsensibilität stoßen, sich hiermit schnell identifizieren können, macht eine Einschätzung der Häufung des Phänomens nicht einfacher.
Es ist aus mehreren Gründen auch verlockend und gut für das Ego, sich als hochsensibel zu bezeichnen. Schließlich gilt man dann als kreativ, feinfühlig und wahlweise als spirituell begabt oder auch in besonderer Art und Weise denkend. Wenn hierfür in Kauf genommen wird, halt ein wenig empfindlicher oder schonungsbedürftiger zu sein, kommt dies gewiss einigen Menschen, die sich vor allem als anders wahrnehmen, entgegen.
Nachweis von veränderten Hirnaktivitäten
Erklärt werden kann Hochsensibilität durchaus und auch die veränderten Hirnaktivitäten sind beschrieben. So scheint der Thalamus besonders beteiligt zu sein. Dieses Stück des Zwischenhirns entscheidet (unbewusst), welche Reize überhaupt ins Bewusstsein gelangen und welche nicht. Der Thalamus ist somit das Hauptelement für das Filtern unserer Umwelt. Je mehr Informationen vom Thalamus als wichtig eingestuft werden, desto mehr dringt auch ins Bewusstsein.
Wo mehr Reize ins Gehirn gelangen, ist auch mehr Aktivität vorhanden. Interessant wird dies, wenn als hochsensibel geltende Menschen in Situationen gebracht werden, in welchen emotionale oder ästhetische Reize gezielt auf sie einwirken sollen. Eine Studie mit 18 Teilnehmern von Bianca P. Acevedo et al. aus dem Jahre 2014 hat sich mit den Hirnaktivitäten von hochsensiblen Menschen beim Betrachten von Bildern ihrer Partner oder von Fremden beschäftigt. Mittels Magnetresonanztomographie wurde festgestellt, dass die Hirnregionen für Empathie, Aufmerksamkeit und weitere Bereiche aktiver beim Betrachten der Bilder waren als bei nicht als hochsensibel geltenden Personen. Wenngleich die Anzahl der beobachteten Menschen eher klein ist, decken sich diese Ergebnisse mit vergleichbaren Studien, von denen es seit den späten 90er-Jahren sehr viele gibt.
Weiterhin gab und gibt es genetische Untersuchungen. So ist Hochsensibilität mit einer bestimmten Ausprägung der Serotonintransporter sowie anderer hormoneller Komponenten assoziiert. Die Signalübertragung in den Nervenzellen ist also verändert, was sich auch mit den Untersuchungen der Hirnaktivität von Hochsensiblen deckt.
- Betroffene nehmen mehr wahr.
- Sie benötigen teilweise länger für die Reizverarbeitung.
- Das Gehirn ist in vielen Situationen aktiver.
- Genetische Komponenten sind oftmals vorhanden.
- Hochsensibilität ist nicht besonders selten.
- Auch Tiere können hochsensibel sein.
Weiterhin gibt es noch keinen stichhaltigen Grund dazu, Hochsensibilität von anderen Persönlichkeitstypen abzugrenzen. Es könnte sich genau so gut um einen Teilaspekt einer bestimmten Persönlichkeitsstruktur handeln. Die Forschung befasst sich größtenteils mit messbarer Sinnesverarbeitung wie mit dem Einfluss der frühkindlichen Prägung auf als hochsensibel geltende Personen. Die psychologische Forschung muss hier noch einiges bestätigen und widerlegen.
Einordnung der Hochsensibilität
15, 20 oder 5 Prozent Betroffene? Letzten Endes ist dies nicht entscheidend, wenn Hochsensibilität eingeordnet werden soll. Es handelt sich wohl nicht um eine Krankheit, da ein behandelnswerter Leidensdruck wohl nicht existiert. Eine verminderte Reizschwelle kann beeinträchtigend sein, bedeutet aber im Grunde nur einen Aspekt einer Persönlichkeit. Und auch die teilweise gesteigerten Fähigkeiten zur Wahrnehmung sind nichts, was als herausragend gelten kann – im Gegensatz zu einigen Formen des Autismus oder des sogenannten Savant-Syndroms beispielsweise.
Das Phänomen Hochsensibilität kann als Beschreibung eines bestimmten Persönlichkeitstypes verstanden werden. Da die Beschreibung dieses Typus eine eher neue Erscheinung ist und noch von vielen Mythen begleitet ist, weiß man noch nicht, wie normal oder unnormal Hochsensibilität letzten Endes ist. Da sie aber auch bei Tieren nachgewiesen wurde, scheint sie sich zumindest nicht im Bereich des Unnatürlichen zu befinden. Anzunehmen ist auch, wie bei der Persönlichkeitsentwicklung insgesamt, dass die frühkindliche Prägung viel Einfluss hat.
Was hochsensiblen Menschen hilft
Es gibt hochsensible Menschen und sie sind anders. Hochsensible Personen funktionieren sozial und im Bereich der Arbeit entsprechend auch anders. Im sozialen Bereich werden konzentrierte, störfreie Gespräche besonders geschätzt. Auch dies trägt nicht zuletzt dazu bei, dass hochsensible Menschen meist sehr tiefe Bindungen zu Mitmenschen aufbauen.
Im Arbeitsumfeld ist eine reizarme Umgebung notwendig. Geräusche, Gerüche und Objekte stören häufig sehr und können nicht einfach dem üblichen Hintergrundrauschen zugeordnet werden. Ein ruhiger Arbeitsplatz ist vorteilhaft. Gemutmaßt wird weiterhin von Hochsensiblen und solchen Menschen, die sich mit diesem Phänomen beschäftigen, dass viele bedeutende Persönlichkeiten hochsensibel gewesen sind. Inwiefern dies stimmen kann, ist wohl kaum nachzuprüfen. Aber wer seine Kreativität und seine Fähigkeit, menschliche Bindungen wertzuschätzen, gut ausleben kann, kann dies auch gewinnbringend nutzen.
Im sozialen Bereich benötigen hochsensible Menschen oftmals Zeiten des Alleinseins oder ganz allgemein der Reizverminderung. Dies bedeutet auch, dass Beziehungen teilweise Ruhephasen (mindestens stundenweise) benötigen. Gleichermaßen hochsensible Partner können für Beziehungen hier vorteilhaft sein. Aber auch Menschen, die als Partner Verständnis für die Bedürfnisse des Hochsensiblen aufbringen, sind eine gute Möglichkeit.
Der Leidensdruck ist bei Hochsensiblen individuell und hängt von der Lebenswirklichkeit ab. Ein stabiles Umfeld, Interessen und die Möglichkeit zur freien Entfaltung sind auch hier die wichtigsten Faktoren für Zufriedenheit mit sich und mit der Welt. Dies eint Hochsensible und alle anderen Menschen gleichermaßen.
Der leicht andere Blick auf die Welt, das häufige tiefe Eintauchen in Reize und die schnelle Erregbarkeit durch die Umwelt sind an sich keine besonders exotischen Eigenschaften. Es hilft den hochsensiblen Personen allerdings ungemein, wenn die Aussage, etwas sei zu viel oder auch einfach störend, auch ernstgenommen wird. Die Antwort, man solle sich nicht so anstellen, ist dabei kontraproduktiv.
Fazit
Hochsensibilität gibt es gewiss schon länger als die Forschung hierzu. Es darf angenommen werden, dass sie genauso normal ist wie andere Persönlichkeitstypen und Begabungsprofile. Die Fähigkeit von Hochsensiblen, Reize intensiver wahrzunehmen und weniger Filtermöglichkeiten zu haben, ist Gabe und Fluch in einem. Sie führt zu einer tieferen Bindung zu Menschen und zu einigen Aspekten des Lebens. Auf der anderen Seite kann sie auch sehr einnehmend, ablenkend und bedrückend sein. Hochsensible Menschen sind wortwörtlich empfindlich – und haben entsprechend auch andere Bedürfnisse an ihre Umwelt. Ruhephasen und Zeit sind wichtige Aspekte. Bis die psychologische Forschung das Phänomen gänzlich versteht, wird gewiss noch einige Zeit ins Land gehen.